Zeitzeugin Karla Spagerer spricht über Bedeutung des Erinnerns

Zeitzeugin spricht über Bedeutung des Erinnerns

Wallstadt – Die 90-jährige Karla Spagerer berichtet vor viel Publikum im Rathaus aus ihrer Kindheit während der Nazi-Diktatur

Die 90-jährige Karla Spagerer berichtet vor viel Publikum im Rathaus aus ihrer Kindheit während der Nazi-Diktatur

Ein junger Mann aus dem Publikum brachte es auf den Punkt: „Ich möchte mich bei Ihnen bedanken, was Sie hier erzählt haben. Wahrscheinlich ist das in Zukunft nicht mehr möglich, so hautnah Informationen zu erhalten.“ Zuvor hatte die inzwischen 90-jährige Karla Spagerer im vollen Rum der Begegnung des Rathauses aus ihrer Kindheit in Zeiten der Nazi-Herrschaft berichtet. Eingangs hatte die SPD-Stadträtin Claudia Schöning-Kalender darauf verwiesen, dass das Thema nicht zuletzt durch die Diskussion um die Wahlen in Thüringen wieder brisant sei. Es sei an der Zeit, dass die demokratischen Kräfte zusammenstehen und sich der AfD entgegenstellten.

Angst vor der Wiederkehr
Karla Spagerer betonte, sie habe Angst, dass Verhältnisse, die niemand mehr haben wolle, wieder kommen könnten. „Da ich vielleicht nicht mehr lange lebe, möchte ich vor allem der Jugend ans Herz legen, dass sie sich gegen das Wiederaufleben des Nationalsozialismus mit aller Kraft wehrt.“ Vorträge wie diesen halte sie vor allem an Schulen, wobei sie vom Moderator des Abends, dem SPD-Landtagsabgeordneten Stefan Fulst-Blei, unterstützt wird.

Diese Angst habe sie nicht um sich, sondern um ihre Kinder und Enkelkinder. „Man muss für die Demokratie einstehen und für sie kämpfen“, so Spagerer. Zum ersten Mal habe sie über ihre Familie im voll besetzten Casino des Capitol erzählt. Geschäftsführer Thorsten Riehle habe sie zu diesem Gespräch eingeladen. Dabei habe sie festgestellt, dass es viele Interessierte gab, die noch mehr aus dieser schlimmen Zeit erfahren wollten.

Karla Spagerer, eine der letzten Zeitzeuginnen der Vor- und Nachkriegszeit, stammt aus einer politisch überwiegend kommunistisch-engagierten Familie vom Waldhof. Ihre Großmutter stand im engen Kontakt zur Lechleitner-Gruppe, einer kommunistischen Widerstandsgruppe gegen den Nationalsozialismus. Sie berichtete, wie sie mit den Kindern Jacob Faulhabers und Max Winterhalters auf der Straße spielte. Damals war sie noch ein Kind, von den mutigen Aktionen der eigenen Großmutter und der Gruppe – etwa dem damals lebensgefährlichen Drucken von Flugblättern gegen die Nazis – habe sie nur aus späteren Erzählungen ihrer Mutter erfahren. Die Großmutter habe schließlich 18 Monate im Zuchthaus in Bruchsal verbracht – eine schlimme Zeit, von der sie nie erzählt habe.

Spätestens 1934 habe sie, so Karla Spagerer, gedacht, dass es nur eine Frage der Zeit sei, wann Lechleitner verhaftet werden würde. Dies war schließlich 1942 der Fall. Noch im selben Jahr starb er in Stuttgart durch das Fallbeil. Eindringlich berichtete Spagerer, wie sie vor wenigen Jahren von den tragischen Schicksalen ihres nach Moskau emigrierten Onkels und von zwei jüdischer Bekannten ihres Vaters erfuhr. Auch von der Reichspogromnacht und ihrem Leben voller Angst, sei es in der Schule oder auf der Straße, beim Beobachten von Verhaftungen, Zerstörungen und Verrat innerhalb von Familien und Nachbarschaften, sprach Karla Spagerer. In der sich anschließenden Diskussionsrunde kamen aus dem Kreis der Zuhörer viele Beiträge, so berichtete etwa eine Frau: „Mitmeinem Vater war ein Dialog über den Krieg nicht möglich. Er blockierte sofort.“

Lothar Mark, der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete, erinnerte sich ebenfalls an seine Eltern und berichtete aus jener Zeit. Man habe „nichts gewusst“, sei einfach eine Lüge. Fulst-Blei wandte sich abschließend gegen jede Verharmlosung rechtsextremen Gedankenguts. Mit ihrem Zeitzeugenbericht dürfte Karla Spagerer viele zum Nachdenken gebracht haben.

© Bernhard Haas
© Mannheimer Morgen, Mittwoch, 18.03.20

Bildquellen

  • Zeitzeugen: SPD Mannheim | CC0

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